Die Zeit, Hamburg Nr. 16, April 1997

Drum prüfe, wen du ewig bindest

Der Streit um die Habilitation geht weiter:
Für eine Professur auf Probe

von Reinhard Kreckel
Paul B. Baltes, einer der bedeutendsten Altersforscher in Deutschland, hat sich in einem flammenden Artikel "Wider die Gerontokratie" ZEIT Nr. 15/1997) gegen die Habilitation als dem "letzten Zopf der deutschen Ordinarienuniversität" ausgesprochen. Recht hat er. Wie schon viele vor ihm kritisiert er die überlangen Qualifikationszeiten für den deutschen Professorennachwuchs, die langjährige Unselbständigkeit der Habilitanden als abhängige Assistenten, die Überalterung der Professorenschaft. In der gegenwärtigen, auf Hochtouren laufenden hochschulpolitischen Diskussion wird Baltes' Auffassung weitgehend geteilt. Selbst Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers betont bei jeder Gelegenheit, die Habilitation solle als Berufungsvoraussetzung abgeschafft werden.

Nach dem Hochschulrahmengesetz von 1977 sind an den Universitäten Berufungen ohne Habilitation aber längst möglich, sofern "gleichwertige wissenschaftliche Leistungen" nachgewiesen werden. Die Universitäten und die Kultusminister machen von dieser Möglichkeit jedoch nur sehr sparsam Gebrauch. In der Regel setzen sie den Maßstab für eine "habilitationsäquivalente Leistung" so hoch, daß jüngere Wissenschaftler ohne Habilitation kaum eine Berufungschance haben. Auch kumulative Habilitationen, die nicht auf einem lange gereiften magnum opus beruhen, werden meist mit Mißtrauen betrachtet. Ich befürchte deshalb, daß die bloße Aufhebung der Habilitationsnorm wenig bewirken wird.

Die deutschen Universitäten sind Einrichtungen mit einer uralten Tradition. Ihre Leistungs- und Überlebensfähigkeit hängt nicht nur von Gesetzen und Verordnungen ab, sondern auch von vielen ungeschriebenen Regeln und Selbstverständlichkeiten. Zu diesen gehört die Habilitation. Sie läßt sich nicht einfach abschaffen. Sie kann aber verändert werden. Denn eine der Stärken der deutschen Universitäten ist es schon immer gewesen, Perioden der Stagnation zu überwinden, indem sie ihre eigenen Traditionen verändert und erneuert haben.

Ein kurzer Blick in die jüngere Vergangenheit lehrt nämlich, daß die zur Zeit kursierenden Vorschläge, die Habilitation als Berufungsvoraussetzung zurückzudrängen und Zeitprofessuren einzuführen, wenig erfolgversprechend sind. vor etwa 25 Jahren hat es in der Bundesrepublik Deutschland schon einmal den Versuch gegeben, die Habilitation auszuheben und damit das Erstberufungsalter zu senken. Das war die Einführung des sogenannten Assistenzprofessors nach amerikanischem Vorbild. Er ist inzwischen wieder von der Bildfläche verschwunden. Der Kardinalfehler dieser Konstruktion war, daß es sich dabei im Grunde nur um befristete Mittelbaustellen gehandelt hat. Auch Versuche, Zeitprofessuren oder -dozenten einzuführen, um die Mobilität der Professoren anzukurbeln, waren nicht sehr erfolgreich. Ebensowenig hat sich die Einrichtung von drei Stufen von Lebenszeitprofessuren an den Universitäten (C2, C3 und C4) bewährt. Heute gibt es - praktisch nur noch unbefristete C 3- und C 4-Professuren. Die Gefahr der Überalterung besteht wie eh und je.

Mein Vorschlag ist deshalb, aus diesen Mißerfolgen zu lernen und an den Universitäten die Habilitationsprofessur einzuführen. Mittelfristiges Ziel ist es dabei, etwa die Hälfte der zu besetzenden C 3-Stellen zunächst als befristete C 2-Habilitationsprofessuren mit tenure track (Übernahmeoption) auszubringen. Berufungsvoraussetzung ist eine überdurchschnittliche Promotion, verbunden mit einer Altersgrenze von 30 bis 32 Jahren, die nur begründete Ausnahmen zuläßt. Der Habilitationsprofessor hat die Dienststellung und die Dienstaufgaben eines normalen Professors (Forschung, Selbstverwaltung, Lehre, eventuell - eine Reduktion des Lehrdeputates). Bei der Besetzung gelten die üblichen Regeln für Berufungsverfahren, also öffentliche Ausschreibung, Berufungskommission, externe Begutachtung, Hausberufungsverbot, Dreierliste und so weiter. Die Habilitationsprofessur wird für fünf Jahre befristet vergeben.

Die Pointe meines Vorschlages ist nun, daß spätestens nach Ablauf des vierten Jahres die in dieser Zeit erbrachten Forschungs-, Lehr- und Selbstverwaltungsleistungen von einer Evaluierungskommission des Fachbereiches unter Berücksichtigung von externen Gutachten bewertet und dem Fachbereichsrat zur Entscheidung vorgelegt werden. Fällt die Entscheidung positiv aus, so wird der Betreffende zum regulären C 3-Professor auf Lebenszeit ernannt und ist damit allen habilitierten Professoren gleichgestellt. Fällt die Entscheidung jedoch negativ aus, so scheidet der Bewerber nach Beendigung der Fünfjahresfrist aus. Er ist dann noch jung genug, um sich umorientieren oder auch um ein konventionelles Habilitationsstipendium bewerben zu können.

Es ist zu erwarten, daß derartige Habilitationsprofessuren für besonders qualifizierte Doktoren,die ein gewisses Risiko nicht scheuen, attraktiver sind als herkömmliche Assistentenstellen. Sie führen sehr viel schneller zu einer ersten regulären Lebenszeitprofessur. Die Vorzüge dieses Verfahrens liegen auf der Hand: Die Besten können die Periode des abhängigen Assistenten überspringen oder abkürzen. Der Lehrkörper der Universitäten verjüngt sich. Außerdem besteht in diesem Modell auch eine realistische Chance, nicht nur die in der Probezeit erbrachten Forschungsleistungen zu bewerten. Auch der Lehrerfolg und die Mitwirkung an der Selbstverwaltung müssen in die Beurteilung miteinbezogen werden. Eine erfolgreich abgeschlossene Habilitationsprofessur wäre somit einer reinen Forschungshabilitation herkömmlicher Art überlegen, da zur wissenschaftlichen Leistung eine echte Bewährungsprobe als Hochschullehrer hinzukäme. Die Chance, bald nach der Ernennung zum vollen C 3-Professor auf eine besser ausgestattete Professur wegberufen zu werden, wäre deshalb wohl relativ günstig. Die Habilitationsprofessur kann dann wieder neu ausgeschrieben werden, und die Verjüngung des Lehrkörpers geht weiter.

Auf diese Weise könnte es gelingen, die Berechtigten Bedenken der Kultusministerkonferenz auszuräumen, daß die "Habilitation mit dem Instrument der Zeitprofessur nicht einfach kombinierbar" sei und daß man sich vor "Schnellschußprofessuren auf Zeit ohne ausreichende Qualitätsprüfung" hüten müsse. Ein anderes naheliegendes Bedenken wäre, daß die Berufungschancen der heutigen Privatdozenten durch das neue Verfahren geschmälert werden könnten. Dazu ist zu Sagen, daß eine Beschleunigung des "Berufungskarussells" sich immer auch nachwuchsfördernd auswirkt. Außerdem sollte es gestattet werden, Stellenausschreibungen auch so zu gestalten, daß eine frei werdende Position entweder als reguläre C 3-Professur oder als C 2-Habilitationsprofessur besetzt werden kann. Das würde den Entscheidungsspielraum der Fachbereiche erweitern.

Mein Vorschlag hat den Vorzug, die Habilitation nicht einfach abzuschaffen. Sie soll nur behutsam ergänzt werden. Falls die neue Form der Habilitationsprofessur sich bewährt, wird sie sich durchsetzen. Sollte sie sich aber nicht bewähren, so wird sie wohl, wie einst der Assistenzprofessor, einfach in Vergessenheit geraten, ohne größeren Flurschaden anzurichten.

Reinhard Kreckel ist Professor für Soziologie und seit 1996 Rektor der Universität Halle-Wittenberg


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Stefan Schwendtner, 10. August 1998