Das Juridicum - ein Bauwerk mit künstlerischem Anspruch  

Rede zur Eröffnung des Juridicums am 19. Oktober 1998 

von Prof. Dr. Reinhard Kreckel 

Sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Gerichtshofes, Rodriguez Iglesias 
sehr geehrte Frau Justizministerin Schubert, 
sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Rauen, 
sehr geehrter Herr Dekan Meng, 
liebe Kolleginnen und Kollegen, 
liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, 
sehr geehrten Damen und Herren, 

schauen Sie sich nur um. Halle wird schöner. Halle wird interessanter. Halle wird vielfältiger - und das fast jeden Tag. Man muß nicht Lokalpatriot sein, um es zu sehen: Man muß einfach nur Augen haben. 
Vor zwei Monaten hat das neue, eindrucksvolle Gebäude des Biozentrums seine Tore geöffnet. Kürzlich haben wir die neue, dritte Bühne in der Kulturinsel gleich nebenan eingeweiht. Letzte Woche wurde die großartige Händelhalle übergeben - ein kulturelles Ereignis besonderen Ranges, das weit über die Grenzen der Stadt hinausweist. Und jetzt: das Juridicum. 

Sicherlich wird durch solche bauliche Großtaten in schwieriger Zeit auch das Leben in der Stadt Halle selbst nachhaltig beeinflußt. 
Eine Stadt mit einem pulsierenden, reichhaltigen kulturellen Angebot fühlt sich einfach besser an - auch im Alltag. Die Lebensqualität steigt, mehr Menschen fühlen sich hier zuhause, möchten in der Stadt leben und arbeiten. Gerade dies ist für eine Universität, die noch im Wiederaufbau ist, von herausragender Bedeutung: Die Attraktivität einer Universität hängt nun einmal ganz entscheidend von der Attraktivität ihres Standortes ab - und umgekehrt. 

So bin ich jetzt einfach von Herzen froh, daß nun auch unser Juridicum da ist und mithelfen kann, die Stadt Halle und ihre Martin-Luther-Universität voranzubringen. Als Sie hier hereingekommen sind, haben Sie den Universitätsplatz gesehen, einen der zentralen und städtebaulich interessantesten Plätze der Stadt. Urbane Plätze sind Orte der Begegnung, des Gesprächs. Sie sind Orte der Versammlung. Hier wird in manchen Augenblicken der Bürger zum Citoyen, das Private wird öffentlich und zivil. Tagsüber ist der Universitätsplatz fast immer von diskussionsfreudigen jungen Menschen bevölkert. Damit er künftig auch nach Einbruch der Dunkelheit attraktiv bleibt, dafür wird demnächst die strahlende neue Fassadenbeleuchtung für das Löwengebäude sorgen, diesen ehrwürdigen Wächter oben über unserem Universitätsplatz. 

Mit der Fertigstellung des Juridicums ist nun ein weiterer bedeutender Schritt zur Vollendung des gesamten Platzes getan. In vielerlei Hinsicht handelt es sich um einen sehr bemerkenswerten Bau: 
Trotz schwieriger rechtlicher und finanzieller Lage ist es durch das persönliche Engagement von Vertretern des Landes, der Stadt und unserer Universität gelungen, alle Fallstricke rasch und elegant zu umgehen. Die nötigen Genehmigungen für den Baubeginn lagen in Rekordzeit vor. Einmal mehr hat es sich gezeigt, daß es in Sachsen-Anhalt, immer dann wenn es besonders wichtig ist, Town, Gown and Crown (oder weniger getragen: Land, Stadt und Universität) hervorragend kooperieren können. 
Trotz knapper Finanzvorgaben ist es dem Architekten und dem Projektsteuerer gelungen, ein Gebäude zu errichten, das eben nicht bloß eine reiner Zweckbau ist. Die anspruchsvolle, teils sehr kühne, teils sehr elegante und das geschulte Auge beeindruckende Gestaltung, das einmalige Raumgefühl im Inneren der Bibliothek, in der Eingangshalle, im Innenhof, auf den einzelnen Terrassen, die Liebe zum kleinsten Detail, all dies zeugt von hohem ästhetischen Niveau und von großer Gestaltungskraft. Dieser ästhetische Überschuß macht das Juridicum selbst zu einem besonderen kulturellen Ereignis, ja: zu einem Werk mit künstlerischem Anspruch. Das besondere an Werken der Kunst ist aber, daß man sich in einer Weise mit ihnen auseinandersetzen, sich über sie austauschen kann, wie es mit rein zweckmäßig entworfenen Gegenständen niemals möglich wäre. Und das, genau das ist einer Universität gemäß: Sollte unsere Universität jemals auf bloße Zweckorientierung und auf die Größe des Rechenstiftes zurückgesetzt werden, so würde sich unser ganzer Einsatz für sie nicht mehr lohnen. Dafür, daß wir mehr sind und mehr sein wollen als ein bloßes Instrument der Vermittlung von Fachwissen und von Diplomen, dafür ein Stück Kultur in der Stadt sind, dafür haben wir mit diesem Juridicum jetzt einen unübersehbaren neuen Zeugen, der sich würdig ins Geviert des Universitätsplatzes einfügt. 

Wenn dann demnächst an der noch offenen Stirnseite des Universitätsplatzes das neue Auditorium Maximum stehen wird, werden wir mitten in Halle ein atemberaubendes Kraftfeld Kultur und Wissenschaft haben - links das Opernhaus, rechts das neue Theater, ein paar Schritte weiter die Burg Giebichenstein und die Leopoldina, in der Mitte aber dieser Universitätsplatz mit diesem Juridicum als neues Kleinod. 

Da wäre es eine Sünde, wenn man sofort sehen könnte, wie sehr auch hier gespart worden ist. Aber stellen Sie sich vor - die veranschlagten knapp 35 Mio DM Baukosten sind in der Tat unterschritten worden. Das war der Erfolg des Pilotprojekts, das uns die Landesregierung zugestanden hat. Es wird jetzt beim Audimax fortgeführt, und wir wollen alles tun, damit das Ergebnis ähnlich spektakulär wird wie hier. 

Ganz selbstverständlich habe ich jetzt "Wir" gesagt - obwohl: zumindest auf dem Papier sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten für das Juridicum einigermaßen kompliziert gewesen. In der Praxis aber wurde immer dann, wenn es darauf ankam an einem Strang gezogen. Deshalb will ich jetzt, ohne Rücksicht auf das Protokoll, einfach an einige Akteure erinnern, die sich um diesen Bau besonders verdient gemacht haben. Da waren zunächst einmal alle die, die den Wissenschaftsrat überzeugt haben, daß das Projekt des Juridicums in die Bund-Länder-Finanzierung aufgenommen werden müsse. Das Wirken von Staatssekretär Klaus Faber und Abteilungsleiter Dr. Christoph Helm war hier von unschätzbaren Wert, wie überhaupt das Kultusministerium als Bauherr hervorragend agiert hat. Besonderer Dank gebührt deshalb auch den Projektverantwortlichen im Ministerium, Herrn Heitmüller. 
 
 

Aber bis es überhaupt zum Grundstückkauf kommen konnte, mußten komplizierte Verhandlungen mit der Stadt Halle und den benachbarten neuen Theater geführt werden. Ohne das Entgegenkommen und dem persönlichen Einsatz von Oberbürgermeister, Dr. Klaus Rauen, dem Beigeordneten Dr. Friedrich Busmann und dem Intendanten des nt, Peter Sodann, wäre alles gescheitert. 

Ganz besonders hervorzuheben ist dann natürlich die Leitung und die kooperative Haltung des Architekturbüros Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz sowie der Firma IPM als Projektbetreuer, vertreten durch die Herren Meiermann und Burckhardt. 

Und schließlich will ich aus unserer Universität den Baudezernenten, Horst-Dieter Foerster, und dem Projektverantwortlichen, Herrn Wolfgang Engelke, danken. Und die Wirkung unseres Kanzlers, Herrn Wolfgang Matschke, für den das Bauen einfach eine Leidenschaft ist, kennt jeder, der ihn in Aktion erlebt hat. Er hat immer dann Begeisterung ausgestrahlt, phantasievolle Lösungsvorschläge geliefert und Mut gemacht, wenn Not am Mann war. Ihnen allen und all den vielen Baufirmen und ihren Mitarbeitern, die dieses Werk erstellt haben, gilt mein herzlicher Dank. Die Martin-Luther-Universität und ihre Juristische Fakultät fühlt sich reich beschenkt. Und sie hat nun die Pflicht, diesem Geschenk, dem neuen Juridicum, künftig die gebührende Ehre zu erweisen. Ich bin sicher, unsere Juristen werden uns nicht enttäuschen. 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Beginn meiner Ausführungen zurück: Halle wird schöner, interessanter, vielfältiger. Ich denke, daß das Juridicum hier am Universitätsplatz zu all´ dem beitragen kann. An einem Ort der Diskussion und des Meinungsaustauschs wird es nicht nur den Zweck erfüllen, Wissenschaftler und deren Bücher zu beherbergen, sondern es wird selbst Gegenstand niveauvoller diskursiver Auseinandersetzung sein. Die Einen werden begeistert sein. Die Anderen hätten sich ein ganz anderes Gebäude gewünscht. Nur wenige wird der Bau ganz gleichgültig lassen. Und selbst auf sie, wird wie auf alle Anderen, wird das Juridicum, wenn sein Neuigkeitswert einmal abgeklungen ist, seine ruhige, majestätische Wirkung tun. Das ist gut so. Und deshalb freue ich mich so sehr über diesen strahlenden 19. Oktober. 
 
 
 
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Nicole Teichert, 22.10.1998